Der folgende Text ist ein Ausschnitt aus der Titelgeschichte "Der Grand Prix Tante Martha", erschienen im gleichnamigen Buch. Die Situation: "tour"-Fotograf Eddy Kahlich, nach Radunfall verletzt und auf Krücken, setzt durch, dass seine 70jährige tschechische Tante Martha uns auf unserem Reportage-Trip zum Grand Prix des Nations an die Cote d'Azur begleitet. Unterwegs wird das Auto aufgebrochen, werden Teile der Fotoausrüstung geklaut.
Eines aber bereitet uns wirklich Sorgen: „Wir kennen alte rostige BMW nicht ieber Nacht parken mit Papp-Fenster hinten links. Sonst hat morgen auch kein Radio mehr
und keine Sitze.“ – Also brauchen wir ein Hotel mit Garage. Als wir dann gegen 20 Uhr in Cannes eintreffen und die lichterfunkelnde Croisette entlangfahren, fühlen wir uns ein bißchen wie im
Haifischbecken: Überall im Halbdunkel lauern sie, die uns nun noch das Radio und die Sitze klauen wollen! Gänsehaut.
Es stellt sich heraus, dass nur die beiden ersten Hotels am Platz über eine eigene Garage verfügen. Wir entscheiden uns für das, das näher am Start des morgigen Rennens liegt: das weltberühmte
Carlton.
Nun verfügten wir damals keineswegs über ein unbegrenztes Spesenkonto. Normalerweise übernachteten wir unterwegs für 50 oder 60 Mark mit Frühstück. In dieser Kategorie allerdings führt das
Carlton keine Zimmer. Wenn ich mich richtig erinnere, kostete das Einzelzimmer damals 360 Mark – und das auch nur in der Nachsaison. – „Ist Notfall“, beschließt Eddy. „Werde ich unserem
Finanzminister in Verlag erklären. Wird er keine Probleme machen.“
Während Eddy das Auto parkt, warten Tante Martha und ich im plüschigen Foyer, sehen das ganze auf Hochglanz polierte Getriebe vor unseren Augen sich entfalten: die auffällig unauffällig
wieselnden Angestellten, die in bestes Tuch gekleideten Gäste, die mit nonchallanter Arroganz den Eindruck zu erwecken wissen, jene 360 Mark für die Übernachtung seien nun aber wirklich ihre
geringste Sorge. Selbst in der Hochsaison, wenn es dann noch ein wenig teurer würde, gäbe es für sie keinen anderen Platz als eben diesen. Und überhaupt: Falls ihnen hier etwas nicht in den Kram
passte – am Service etwa oder am Ambiente –, dann kauften sie den ganzen Laden kurzerhand und machten eine Bonbonbude draus.
Als Eddy zurückkommt, hat er verträumte Augen. „Ist verrickt“, erzählt er, „fast alle Plätze in der riesigen Garage waren schon besetzt. Ein Rrrolls Rrrroyce neben dem anderen! Cremeweiß die
meisten, ein paar habe ich gesehen mit vergoldeten Tirgriffen. Und mitten unter den ganzen Rrrrolls Rrrroyces steht jetzt mein alter rostiger BMW mit Pappfenster hinten links!“
Wir machen uns etwas frisch und treffen uns dann, um trotz vorgerückter Stunde noch etwas vom mondänen Flair dieses Ortes zu inhalieren. Verstohlene Blicke verfolgen Eddy mit seinen Krücken, als
er Tante Martha die Tür aufhält. Die hat zwar ihren Schal neu gewickelt, sieht aber ansonsten aus wie oben beschrieben.
Hinter uns die mondäne, lichterglänzende Fassade des Carlton, vor uns die, ich glaube, sechsspurige Croisette. Ein Meer von polierten, sündteuren Automobilen flaniert da vorbei. Alles glitzert
und spiegelt den Reichtum derer, die sich hier mit anderen Reichen treffen, um reich zu sein und das in angemessener Form zum Ausdruck zu bringen. Eddy fühlt sich offenbar ganz in seinem
Element.
Mitten auf dem Bürgersteig hat einer seinen Rolls geparkt, völlig verboten, klar, aber wen kümmert in Cannes schon ein Knöllchen. Eddy hebt seine rechte Krücke, deutet auf das edle Automobil und
fängt an zu dozieren. „Weißt du, Tante Martha, das hier ist teuerstes Auto von Welt. Ist Rrrrolls Rrrrroyce. Hat hier oben kleine Kihlerfigur, heißt Emily.“
In wenigen Augenblicken hat sich eine kleine Menschenmenge um uns versammelt. Sicher verstehen sie nicht, was Eddy erklärt, aber dass er mit seiner Krücke fuchtelt, dass diese wandelnde
Altkleidersammlung mit ihrem orangeroten Schal so völlig fasziniert schaut, das interessiert sie. Ein Film? Wird es zu Handgreiflichkeiten kommen? Wird am Ende der Rolls explodieren?
Eddy ist ganz unbekümmert. „Weißt du, Tante Martha, woran man erkennt Rrrrolls Rrrrroyce? An tipische Kihlergrill“, – und fuchtelt mit seiner Krücke vor dem Auto herum. Tante Martha nickt
enthusiastisch. Goldener kann der Westen nicht sein als hier in Cannes, drei Schritte vor dem Portal des Carlton.
Als Eddy nun nichts mehr einfällt zum Thema Rolls Royce, lässt er die Krücke sinken. Sofort reagieren die Leute, wenden sich ab, schlendern weiter. Nur einer kommt näher, ein Typ in Jeans und
T-Shirt. Er fischt einen Schlüssel aus der Tasche, schließt den Rolls auf und gleitet im nächsten Moment schon die Croisette entlang. Bestimmt hat er sich köstlich amüsiert.
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